Die globale Neupositionierung von Facebook

Der Club Alpbach Liechtenstein durfte am 24. August 2019 ein Kamingespräch mit Semjon Rens, Privacy & Public Policy Manager bei Facebook Germany führen. Das Gespräch fand in unserer gemütlichen Tirolerstube im Clubhaus in Alpbach bei Kuchen und Kaffee statt. Semjon kam durch die österreichische Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig bereits zum zweiten Mal nach Alpbach.

Eigentlich wollte Rens beruflich in Richtung Aussen- und Sicherheitspolitik gehen, doch während seiner Studienzeit in Berlin war er für das soziale Netzwerk StudiVZ tätig und landete über Umwege schliesslich bei Facebook. Rens ist nicht nur für den deutschen, sondern auch für den schweizerischen, österreichischen und liechtensteinischen Markt verantwortlich.

Die folgenden drei Themen dominierten das Gespräch: Der stets strittige Punkt Datenschutz bei Facebook und WhatsApp sowie die Verantwortung von Facebook hinsichtlich der Meinungsbildung der Nutzer, vor allem bei politischen Kampagnen und der damit einhergehenden Frage, ob und inwiefern das Unternehmen als Zensor auftreten soll und kann. Das dritte dominierende Thema war die kürzlich angekündigte Komplementärwährung „Libra“, die 2020 lanciert werden soll.

Routiniert, souverän und eloquent stellte sich Rens über zwei Stunden lang unseren durchaus kritischen Fragen, wobei die Wahlmanipulationen für uns von besonders grossem Interesse waren. Wir besprachen die Rolle Russlands bei den US-Wahlen 2016, und auch die „gefakte“ Info-Schmutzkampagne über den ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz von Seiten der Sozialdemokraten. Rens stellte fest, dass dies keine Einzelfälle seien, sondern dass dies in zahlreichen Ländern rund um den Globus bereits ein innenpolitisches Tool geworden sei. Der wieder aufkommende Nationalismus sei für eine globale Plattform wie Facebook, deren Ziel die transnationale Vernetzung von Menschen sei, hochproblematisch. 

Rens fordert daher eine Global Governance, also universelle Agreements, damit Facebook weltweit effizient agieren kann. Die Länder hingegen verlangen die Anpassung Facebooks an nationale Standards. Weil die Menschenrechte nicht in jedem Land im gleichen Masse gelten, hätten bei Facebook die Gemeinschaftsstandards immer Vorrang vor nationalen Vorgaben. Facebook habe den Fokus stark auf diese ausgerichtet, insbesondere auch auf die Meinungsfreiheit, wofür Facebook aber auch stark in Kritik stehe. Daher beschäftigte die StipendiatInnen die Frage, ob sich Facebook hier die Rolle eines globalen „quasi-Gerichts“ anmasse und auf welcher Rechtsgrundlage solch ein hypothetisches Regime fussen könnte.

Eine weitere spannende Frage betraf die Überprüfung der Inhalte. Momentan kontrolliert Facebook die Inhalte mithilfe Künstlicher Intelligenz, die eine Trefferquote von 54% bei Hassreden verzeichnet. Vor einem Jahr sei gemäss Rens die Trefferquote noch bei 23% gelegen, was die rasante technische Entwicklung Künstlicher Intelligenz unterstreiche. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz vereinfache die Überprüfung enorm und sei natürlich auch viel günstiger, als Menschen anzustellen, welche die Beitragsflut durchchecken müssten. Was definitiv entfernt werde, entscheide in letzter Instanz dennoch ein Mensch. Im Zweifel gelte immer der Grundsatz der Meinungsfreiheit. Rens gibt zu bedenken, dass auch, wenn künstliche Intelligenz eine enorme Hilfe sei, enorm viel personelle Ressourcen für die Überprüfung benötigt würden. 30’000 Menschen sammeln und sortieren rund um die Uhr die Daten vor und geben verdächtige Inhalte (z.B. Fake-News) an ein Spezialistenteam von 80 Personen weiter. Besonders Deep Fakes seien sehr schwierig zu erkennen. Ein weiteres grosses Problem seien die Fake Accounts von „echten“ Menschen. In St. Petersburg habe es beispielsweise eine riesige Troll-Fabrik, die hochspezialisiert darauf sei, ganze Konversationen zu faken. Inhalte, die von Facebook als Fake News enttarnt wurden, seien vor Kurzem als „Disputed“ gelabelt, doch dies habe zur Folge gehabt, dass die Artikel von noch mehr Menschen angeklickt wurden. Das Label „Disputed“ sei nun verschwunden. Facebook versuche dem nun so entgegenzuwirken, indem neben den als Fake News entlarvten Artikel weitere Artikel als Leseempfehlung stehen würden, die für die gegenteilige politische Auffassung stehen. Rens gab zu, dass dies keine zufriedenstellende Lösung sei, doch müsse man, wenn es um False- bzw. Fake News, Radikalismus und Nationalismus gehe, das Problem bei der Wurzel beheben. Der Ursprung des Problems sei aber nicht bei Facebook, sondern in der politischen Kultur zu suchen. Die Zensur durch Facebook löse die ursächlichen Probleme nicht.

Rens thematisierte ausserdem die Zukunft Facebooks in Europa. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Instagram in Europa Facebook überhole. Stories seien das beliebteste Format der jungen Nutzerinnen und Nutzer, deshalb suche Facebook derzeit nach einer europäischen Vision. Rens appelliert an die Europäer, sich Gedanken zu machen, was sie sich von einer sozialen Plattform erwarten, anstatt nur den Mangel an Datenschutz zu kritisieren. Eine neue Vision für Europa sei erforderlich und müsse noch gefunden werden, könne aber weder wie die amerikanische, noch wie die chinesische Lösung aussehen.

Der dritte und letzte Teil vom Gespräch betraf Libra. Rens erklärte, dass die Vision Facebooks sei, der über einer Milliarde Menschen, die derzeit kein Bankkonto und damit auch keinen Zugang zum Finanzsystem hätten, diesen Zugang zu geben. Geldtransaktionen seien immer noch teuer, wohingegen das Versenden von Nachrichten kostenfrei sei. Rens unterstrich, dass nicht jeder Facebook-Nutzer automatisch auch ein Libra-Nutzer sei. Um sich anzumelden, sei auch ein Reisepass nötig. Facebook plane eine stabile Währung, die mit den grossen nationalen Währungen wie USD, EUR, YEN und GBP gedeckt sei, wodurch Libra auch bis zu einem gewissen Grad von den Nationalbanken kontrollierbar sei. Auch meinte Rens, dass Libra nicht als Währung gedacht sei – es mache keinen Sinn, sein Geld in Libra anzulegen, weshalb sie auch nicht als Konkurrenz zu den Nationalwährungen anzusehen sei. Libra sei natürlich eine Gefahr für andere Via-Währungen, da Facebook ihr Monopol brechen könne. Doch wenn Facebook dies nicht mache, käme sowieso ein anderer. Facebook sei zudem ein attraktiver Partner für die Nationalbanken, da das Unternehmen so gross sei, dass es sich nicht in irgendeinem Land verstecken könne und daher noch eingeschränkt kontrollierbar sei.

Hiermit möchten wir uns nochmals bei Herrn Rens für die Beantwortung unserer (durchaus auch ungemütlichen) Fragen bedanken!

Claudia Katharina Lanter, Stipendiatin 2019