Jean-Claude Trichet über die aktuelle Lage der Weltwirtschaft und Finanzmarktstabilität

Am vorletzten Tag des Europäischen Forum Alpbach durften wir ein weiteres Highlight des Forums erleben und gemeinsam mit dem Club Alpbach Tirol ein Kamingespräch mit dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, veranstalten. Unsere Stipendiatin Demelza Hays führte die Moderation und leitete das Gespräch mit einer Frage zur Einschätzung der aktuellen ökonomischen Situation der Weltwirtschaft ein. Herr Trichet zeigte sich nicht begeistert von den Wachstumsaussichten in Europa, räumte jedoch ein, dass aktuell eher eine Rezession in den USA als in Europa wahrscheinlich ist, da der europäische Wirtschaftszyklus dem amerikanischen hinterherhinkt. Wann eine Rezession genau eintreffe, konnte auch der ehemalige Zentralbanker nicht vorhersagen, jedoch bekräftigte er, dass Wachstumsphasen nicht unendlich dauern und Rezessionen unausweichlich sind. Den Bankensektor sieht er durch die Regulierungen der letzten Jahre im Krisenfall besser aufgestellt als noch vor zehn Jahren – andere Finanzmarktteilnehmer, die nicht im selben Ausmass wie Banken von der Regulierungswelle nach der Finanzkrise von 2009 betroffen waren (z. B. Versicherungen), könnten jedoch weiterhin ein Risiko für die Finanzmarktstabilität darstellen.

Der Anstieg der weltweiten privaten und öffentlichen Schulden bereitet dem französischen Finanzexperten Sorgen. Besonders durch die niedrigen Zinsen haben sich öffentliche Haushalte weiter verschuldet und können somit dringend notwendige Reformen hinauszögern, unter der Annahme, dass das Zinsniveau langfristig auf dem aktuellen niedrigen Niveau bleibt. Herr Trichet widerspricht jedoch dieser Annahme und ist überzeugt von einem strukturellen Wandel, der mit (zumindest langsam) steigenden Leitzinsen einhergeht. Dies wird einige Volkswirtschaften dieser Welt vor grosse Herausforderungen stellen. In diesem Zusammenhang lobte er die Schweiz als vorbildliches Land für Wirtschafts- und Geldpolitik, auch wenn die Bilanzsumme der Schweizer Nationalbank für manche Beobachter besorgniserregend angestiegen ist.

Schlussendlich wurden auch noch die Auswirkungen des Brexit, der Quantitative Easing Geldpolitik und die Problematik der niedrigen Leitzinsen diskutiert. Jean-Claude Trichet beendete den spannenden Kamingespräch mit einem Aufruf an die europäischen Sozialpartner, dass weitere Lohnerhöhungen in westeuropäischen Staaten mit geringem Wirtschaftswachstum (z. B. Frankreich oder Italien) deren internationale Wettbewerbsfähigkeit weiter verschlechtern würden und somit mittelfristig eine Gefahr für die wirtschaftliche Stabilität der Eurozone darstellen könnten.

Michael Weiser, Stipendiat 2019

„Princely moments“ – Mittagessen mit S.D. Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein

Am 26. August 2019 hatte der Club Alpbach Liechtenstein die ausserordentliche Ehre, mit S.D. Erbprinz Alois von und zu Liechenstein und I.D. Maria-Pia Kothbauer Prinzessin von und zu Liechtenstein, Botschafterin in Österreich und Tschechien sowie ständige Vertreterin des Fürstentums bei der OSZE und den Einrichtungen der Vereinten Nationen in Wien, ein Mittagessen in zwangloser Atmosphäre im Hotelrestaurant Böglerhof einzunehmen.

S.D. Erbprinz Alois zeigte sich sehr interessiert an den Tätigkeiten des Club Alpbach Liechtenstein, seiner Mitglieder und Stipendiatinnen und Stipendiaten. I.D. Maria-Pia Kothbauer äusserte sich besonders begeistert über das hohe Niveau der kulturellen Veranstaltungen in Alpbach und sprach sich für eine intensivere Beteiligung Liechtensteins in Alpbach aus. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten berichteten über ihre Erfahrungen und Erlebnisse während des Forums sowie über ihre beruflichen Schwerpunkte, Studienfelder und Interessen.

Wir möchten uns hiermit noch einmal bei S.D. Erbprinz Alois und I.D. Maria-Pia Kothbauer bedanken, dass sie sich trotz anderer zahlreicher Verpflichtungen für uns Zeit genommen haben!

Ein weiterer Dank gebührt der Botschaft Liechtensteins in Österreich, besonders Mag. Martin Frick, für die perfekte Organisation des Mittagessens.

Claudia Katharina Lanter, Stipendiatin 2019

Innovating on the Blockchain: Security Token Offerings in Austria vs. Liechtenstein

On Tuesday, August 26, the Club Alpbach Liechtenstein hosted a well-attended Fireside Chat with the Director of the Office for Financial Centre Innovation, Dr. Thomas Dünser, and the President of the Digital Assets Association of Austria, Chris Miess. The topic was the blockchain and cryptocurrency market in Liechtenstein and Austria and current trends in the blockchain technology include security tokenization, cryptocurrencies like Bitcoin, and corporations issuing new forms of money like Facebook’s Libra. Crypto Fund Manager, Forbes 30 Under 30 recipient and this year’s scholarship holder of the Club Alpbach Liechtenstein, Demelza Hays, moderated the talk.

The discussion began with a brief introduction of how Mr. Miess came to the crypto space. After leaving Goldman Sachs, he joined a cryptocurrency company called TenX with Dr. Julian Hosp in Singapore. They sold their cryptocurrency in an initial coin offering (ICO) in Signapore and raised approximately $80 million. After leaving the company, Mr. Miess is now working on blockchain regulation in Austria. He mentioned although Harold Maura is no longer spearheading the blockchain regulation, Margarete Schramböck, Austria’s Federal Minister for Digital and Economic Affairs, is now very involved.

Dr. Dünser who was previously at VP Bank in Vaduz works in the Office of Prime Minister in Liechtenstein on the Blockchain Gesetz that is being passed now. His new role is to oversee the creation of Liechtenstein regulation for security exchanges. There are four levels of the licensing process, and the highest-level needs new regulation to be created before an official security token exchange can be up and running in Liechtenstein.

Dr. Dünser mentioned that several security token offerings have already been approved in Liechtenstein; however, Mr. Miess mentioned that none of the security token exchanges do not have sufficient liquidity when measured using daily trading volume.

Ms. Hays explained how security laws began in the first place – first with the US Securities Exchange Act of 1933 and then with the Howey Test in 1946. Ms. Hays prompts all of us to ask ourselves if our security laws and the cost of complying with security laws make sense in the digital age. She cites SEC commissioner Hestor Pierce as a reference for regulators that want to reconsider how to regulate security token offerings in a way that encourages innovation and simultaneously help protect against bad actors.

Another question regarding the use of blockchains in government services was asked by an audience member: Can blockchains achieve social impact and not only financial impact? The answer: The verdict is still out.

The main obstacle: We have not figured out how to build a blockchain that can verify if real-world data is true. Various companies are trying to build oracles that can work with smart contracts in order to overcome some of the problems associated with first generation blockchains. We might see at next year’s Forum Alpbach how advanced Europe’s entrepreneurs will be with a solution.

Demelza Hays, scholarship holder 2019

Wie nachhaltig ist Liechtenstein? Eine fürstliche Perspektive

Im Rahmen des Let’s Talk Symposiums wurde S.D. Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein vom Präsidenten des Europäischen Forums Alpbach Franz Fischler zu verschiedensten Aspekten der Nachhaltigkeit im Fürstentum Liechtenstein befragt. Passenderweise fand das Symposium im Liechtenstein-Saal des Congress Centers statt. Im Publikum befanden sich hochrangige Personen, darunter die Botschafterin Liechtensteins in Österreich, I.D. Maria Pia Kothbauer, die Botschafterin Liechtensteins in Brüssel, Sabine Monauni, sowie Stephanie Liechtenstein und der renommierte Historiker Gerald Stourzh.

S.D. Erbprinz Alois eröffnete das Gespräch mit der Erörterung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ und in welchem Zusammenhang dieser die Geschichte der Familie Liechtenstein prägt(e). Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam das Konzept in Böhmen und Mähren auf, dort wo die Familie grosse Ländereien, v.a. Wälder besessen hatte. Die Forstwirtschaft wurde nach dem simplen Prinzip: „Das was gefällt wird, soll wieder nachwachsen“ betrieben. Dieser Grundsatz präge auch heute seine politische Sichtweise als Staatsoberhaupt und man müsse Lösungen finden, wie das Fürstentum Liechtenstein nochmals dreihundert Jahre überleben könne. Dieses Prinzip müsse natürlich nicht nur auf die Forstwirtschaft, sondern auch auf die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Unternehmen und den Staat umgemünzt werden. Fischler warf daraufhin ein, dass dieses Konzept aufgrund des Klimawandels aber nicht mehr funktioniere. Dieselben Pflanzen könne nicht mehr nachwachsen, man brauche resilientere Pflanzen und anstatt einer Monokultur einen Mischwald. Der Erbprinz bejahte diesen metaphorischen Ansatz und erklärte, dass die liechtensteinische Forstwirtschaft mit mehreren Problemen konfrontiert sei, dem Klimawandel, und dass man vor 100-200 Jahren falsche Pflanzen an falsche Orte gesetzt hatte. Paradebeispiel sei die Fichte, da sie am profitabelsten sei. Fischler stellte fest, dass sich daraus ein allgemeines Prinzip, nämlich das der Diversität deduzieren lasse und fragte den Erbprinzen daraufhin, was die Liechtensteiner machen würden, damit die Balance zwischen Ökonomie, Ökologie und Nachhaltigkeit für die Zukunft weiterhin gesichert sei. Der Erbprinz erzählte daraufhin, dass das heute so blühende Fürstentum Liechtenstein vor 300 Jahren ein bitterarmer Bergbauernstaat gewesen sei und aus den folgenden Gründen seit dreihundert Jahren bestehe: Der peripheren Lage zwischen dem Heiligen Römischen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft, einer großen Portion Glück und weil die richtigen Personen an den richtigen Orten gewesen seien. Liechtenstein hätte vieles richtiggemacht, immanent sei aber die Staatsform, die in Liechtenstein ja auch ein Mix sei, so also auch das bereits erwähnte Prinzip der Diversität erfülle. Das starke monarchische Element sei unter anderem so wertvoll, weil das Fürstenhaus keinen Wahlkampf zu gewinnen hätte und so auch Unbequemes ansprechen dürfe und die Meinung ehrlicher kundtun, als Politiker. Die Kombination aus Monarchie und direkter Demokratie nach schweizerischem Vorbild zwinge das Land nachhaltig zu sein, denn nicht jede Mode könne vorschnell durchs Parlament gepaukt werden. Dem Volk müsse man gut erklären, was weshalb und wann wichtig sei.

Der Erbprinz führte weiter aus, dass Liechtenstein ausser Wasser keine natürlichen Ressourcen hätte und wenn man sich Überschwemmungen in Erinnerung rufe, so sei dies für das Land mehr Fluch als Segen gewesen. Liechtenstein könne sich als Kleinstaat auch keine Verschuldung leisten, sei also schuldenfrei, weshalb Nachhaltigkeit von an Anfang an eine Handlungsmaxime gewesen sei. Ein weiterer Grund für den Erfolg Liechtenstein sah der Erbprinz in der exzellenten Ausbildung der liechtensteinischen Bürgerinnen und Bürger, das wiederum im dualen Bildungssystem verankert ist, in dem die Lehre hoch geschätzt wird. Der Erbprinz betonte ausserdem die Wichtigkeit des Freihandels und der Mitgliedschaft Liechtensteins im Europäischen Wirtschaftsraum im Gegensatz zur Schweiz. Liechtenstein habe gerade in der Industrie auf eine weite Diversität gesetzt. So seien in Liechtenstein hochspezialisierte Unternehmen angesiedelt, die besonders auf Nischenprodukte setzen würden.

Fischler warf daraufhin ein, dass das liechtensteinische Erfolgsmodell zwar beeindruckend sei, dass man es aber nicht auf andere Länder beliebig übertragen könne. S.D. erklärte sich damit einverstanden, schlug jedoch vor, dass man dies auf unterster Gemeindeebene ausprobieren könnte, aber natürlich nicht von heute auf morgen. Das Modell müsse zum Staat, zu Bewohnerinnen und Bewohnern und zur Geschichte des Landes passen. Bereits erfolgte Versuche in Grossbritannien, das liechtensteinische Modell zu übernehmen, seien gescheitert. Man müsse ja auch nicht alles übernehmen, sondern könne auch nur einzelne Elemente gezielt umsetzen. Der Erbprinz unterstrich nochmals die Schlüsselrolle der breit diversifizierten Industrie in Liechtenstein. Liechtenstein sei einer der höchstindustrialisierten Staaten der Erde und rund 40% der Wertschöpfung stamme aus der Industrie. Nachhaltigkeit sei aber nur durch eine Symbiose aller Zweige möglich. So müsse sich hier nicht nur die Bildung, sondern auch die Wirtschaft einsetzen. Auf Nachfrage von Fischler, wie es denn mit dem Finanzplatz Liechtenstein ausschaue, verwies S.D. auf die Steueraffäre und die Krise, welche diese nach sich zog. Da die Finanzinstitute schon vorher nachhaltig gewirtschaftet hätten, hätte auch keines vom Staat gerettet werden müssen. Nach 2008/09 hätten die Finanzinstitute Nachhaltigkeit noch stärker fokussiert. S.D. warnte dennoch vor vermeintlicher Nachhaltigkeit, auch unter dem Begriff Green Washing bekannt.

Fischler fragte S.D. schliesslich, wo er das Fürstentum in 30 Jahren sehen würde. S.D. meinte, dass sicherlich geeignete Reformen in finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nötig seien. So zum Beispiel eine Reform der Sozialversicherung und der Gesundheitsvorsorge, insbesondere des Pflegebereichs, um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Ein weiteres bedeutsames Thema sah S.D. in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch die Entwicklung eines ausgefeilten Raum- und Mobilitätskonzeptes seien von essentieller Bedeutung, um einerseits den Wirtschaftsstandort zu stärken und andererseits, um verantwortungsvoll und nachhaltig mit dem begrenzten Raum umzugehen.

Im Anschluss beantwortete S.D. Fragen aus dem Publikum. Ein Zuhörer fragte S.D. nach einem Rezept für den ausserordentlichen Erfolg Liechtensteins. S.D. nannte folgende Punkte: Eine exzellente (Aus-) Bildung mit einem dualen Bildungssystem, das die MINT-Fächer fördere, die entsprechenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen; also ein flexibler Arbeitsmarkt, eine geringe Staatsquote, vernünftige Steuern, zudem Stabilität, um Planungssicherheit für Unternehmen zu garantieren; gute Beziehungen und schliesslich die Einbettung in ein Freihandelsabkommen. Hierbei äusserte S.D. die Sorge vor dem zunehmenden Protektionismus der Staaten, da Liechtenstein sehr stark auf offene Märkte angewiesen sei.

Claudia Katharina Lanter, Stipendiatin 2019

Discover Liechtenstein!

Am Samstag, den 24. August 2019, hostete der Club Alpbach Liechtenstein in der alten Feuerwehrhütte Alpbach das Event „Discover Liechtenstein!“. Ziel der Veranstaltung war, den Forumsteilnehmerinnen und -teilnehmern das Fürstentum Liechtenstein mit all seinen Facetten vorzustellen. Während die Besucherinnen und Besucher aus aller Herren Länder ein Gläschen fürstlichen Wein aus der Hofkellerei oder ein erfrischendes Brauhaus-Bier degustierten, lauschten sie den in Englisch gehaltenen Kurzvorträgen unserer Stipendiatinnen Claudia Lanter, Demelza Hays und Lia Heyd. So erfuhren sie sowohl Interessantes über die Geschichte, Politik und Kultur des Landes, als auch über den Finanzplatz und wie man etwa ein Unternehmen gründen kann. Kulinarisch verwöhnt wurden unsere Besucherinnen und Besucher zudem von schmackhaften Produkten der Ospelt AG in Schaan. Das Interesse am Fürstentum war enorm, was sich in den zahlreichen Fragen der Besucherinnen und Besucher widerspiegelte. Ein Stipendiat entschloss sich während unserer Veranstaltung sogar spontan dazu, Liechtenstein einen Besuch abzustatten und fuhr am darauffolgenden Tag mit dem Zug von Alpbach nach Liechtenstein. Der gesamte Club Alpbach Liechtenstein freute sich über die gelungene Veranstaltung und das begeistertes Echo. Das Event könnten wir als vollen Erfolg verbuchen. Der Club plant bereits, dasselbe Format im nächsten Jahr nochmals durchzuführen, vielleicht sogar in noch grösserer Ausführung.

Claudia Katharina Lanter, Stipendiatin 2019

Die globale Neupositionierung von Facebook

Der Club Alpbach Liechtenstein durfte am 24. August 2019 ein Kamingespräch mit Semjon Rens, Privacy & Public Policy Manager bei Facebook Germany führen. Das Gespräch fand in unserer gemütlichen Tirolerstube im Clubhaus in Alpbach bei Kuchen und Kaffee statt. Semjon kam durch die österreichische Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig bereits zum zweiten Mal nach Alpbach.

Eigentlich wollte Rens beruflich in Richtung Aussen- und Sicherheitspolitik gehen, doch während seiner Studienzeit in Berlin war er für das soziale Netzwerk StudiVZ tätig und landete über Umwege schliesslich bei Facebook. Rens ist nicht nur für den deutschen, sondern auch für den schweizerischen, österreichischen und liechtensteinischen Markt verantwortlich.

Die folgenden drei Themen dominierten das Gespräch: Der stets strittige Punkt Datenschutz bei Facebook und WhatsApp sowie die Verantwortung von Facebook hinsichtlich der Meinungsbildung der Nutzer, vor allem bei politischen Kampagnen und der damit einhergehenden Frage, ob und inwiefern das Unternehmen als Zensor auftreten soll und kann. Das dritte dominierende Thema war die kürzlich angekündigte Komplementärwährung „Libra“, die 2020 lanciert werden soll.

Routiniert, souverän und eloquent stellte sich Rens über zwei Stunden lang unseren durchaus kritischen Fragen, wobei die Wahlmanipulationen für uns von besonders grossem Interesse waren. Wir besprachen die Rolle Russlands bei den US-Wahlen 2016, und auch die „gefakte“ Info-Schmutzkampagne über den ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz von Seiten der Sozialdemokraten. Rens stellte fest, dass dies keine Einzelfälle seien, sondern dass dies in zahlreichen Ländern rund um den Globus bereits ein innenpolitisches Tool geworden sei. Der wieder aufkommende Nationalismus sei für eine globale Plattform wie Facebook, deren Ziel die transnationale Vernetzung von Menschen sei, hochproblematisch. 

Rens fordert daher eine Global Governance, also universelle Agreements, damit Facebook weltweit effizient agieren kann. Die Länder hingegen verlangen die Anpassung Facebooks an nationale Standards. Weil die Menschenrechte nicht in jedem Land im gleichen Masse gelten, hätten bei Facebook die Gemeinschaftsstandards immer Vorrang vor nationalen Vorgaben. Facebook habe den Fokus stark auf diese ausgerichtet, insbesondere auch auf die Meinungsfreiheit, wofür Facebook aber auch stark in Kritik stehe. Daher beschäftigte die StipendiatInnen die Frage, ob sich Facebook hier die Rolle eines globalen „quasi-Gerichts“ anmasse und auf welcher Rechtsgrundlage solch ein hypothetisches Regime fussen könnte.

Eine weitere spannende Frage betraf die Überprüfung der Inhalte. Momentan kontrolliert Facebook die Inhalte mithilfe Künstlicher Intelligenz, die eine Trefferquote von 54% bei Hassreden verzeichnet. Vor einem Jahr sei gemäss Rens die Trefferquote noch bei 23% gelegen, was die rasante technische Entwicklung Künstlicher Intelligenz unterstreiche. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz vereinfache die Überprüfung enorm und sei natürlich auch viel günstiger, als Menschen anzustellen, welche die Beitragsflut durchchecken müssten. Was definitiv entfernt werde, entscheide in letzter Instanz dennoch ein Mensch. Im Zweifel gelte immer der Grundsatz der Meinungsfreiheit. Rens gibt zu bedenken, dass auch, wenn künstliche Intelligenz eine enorme Hilfe sei, enorm viel personelle Ressourcen für die Überprüfung benötigt würden. 30’000 Menschen sammeln und sortieren rund um die Uhr die Daten vor und geben verdächtige Inhalte (z.B. Fake-News) an ein Spezialistenteam von 80 Personen weiter. Besonders Deep Fakes seien sehr schwierig zu erkennen. Ein weiteres grosses Problem seien die Fake Accounts von „echten“ Menschen. In St. Petersburg habe es beispielsweise eine riesige Troll-Fabrik, die hochspezialisiert darauf sei, ganze Konversationen zu faken. Inhalte, die von Facebook als Fake News enttarnt wurden, seien vor Kurzem als „Disputed“ gelabelt, doch dies habe zur Folge gehabt, dass die Artikel von noch mehr Menschen angeklickt wurden. Das Label „Disputed“ sei nun verschwunden. Facebook versuche dem nun so entgegenzuwirken, indem neben den als Fake News entlarvten Artikel weitere Artikel als Leseempfehlung stehen würden, die für die gegenteilige politische Auffassung stehen. Rens gab zu, dass dies keine zufriedenstellende Lösung sei, doch müsse man, wenn es um False- bzw. Fake News, Radikalismus und Nationalismus gehe, das Problem bei der Wurzel beheben. Der Ursprung des Problems sei aber nicht bei Facebook, sondern in der politischen Kultur zu suchen. Die Zensur durch Facebook löse die ursächlichen Probleme nicht.

Rens thematisierte ausserdem die Zukunft Facebooks in Europa. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Instagram in Europa Facebook überhole. Stories seien das beliebteste Format der jungen Nutzerinnen und Nutzer, deshalb suche Facebook derzeit nach einer europäischen Vision. Rens appelliert an die Europäer, sich Gedanken zu machen, was sie sich von einer sozialen Plattform erwarten, anstatt nur den Mangel an Datenschutz zu kritisieren. Eine neue Vision für Europa sei erforderlich und müsse noch gefunden werden, könne aber weder wie die amerikanische, noch wie die chinesische Lösung aussehen.

Der dritte und letzte Teil vom Gespräch betraf Libra. Rens erklärte, dass die Vision Facebooks sei, der über einer Milliarde Menschen, die derzeit kein Bankkonto und damit auch keinen Zugang zum Finanzsystem hätten, diesen Zugang zu geben. Geldtransaktionen seien immer noch teuer, wohingegen das Versenden von Nachrichten kostenfrei sei. Rens unterstrich, dass nicht jeder Facebook-Nutzer automatisch auch ein Libra-Nutzer sei. Um sich anzumelden, sei auch ein Reisepass nötig. Facebook plane eine stabile Währung, die mit den grossen nationalen Währungen wie USD, EUR, YEN und GBP gedeckt sei, wodurch Libra auch bis zu einem gewissen Grad von den Nationalbanken kontrollierbar sei. Auch meinte Rens, dass Libra nicht als Währung gedacht sei – es mache keinen Sinn, sein Geld in Libra anzulegen, weshalb sie auch nicht als Konkurrenz zu den Nationalwährungen anzusehen sei. Libra sei natürlich eine Gefahr für andere Via-Währungen, da Facebook ihr Monopol brechen könne. Doch wenn Facebook dies nicht mache, käme sowieso ein anderer. Facebook sei zudem ein attraktiver Partner für die Nationalbanken, da das Unternehmen so gross sei, dass es sich nicht in irgendeinem Land verstecken könne und daher noch eingeschränkt kontrollierbar sei.

Hiermit möchten wir uns nochmals bei Herrn Rens für die Beantwortung unserer (durchaus auch ungemütlichen) Fragen bedanken!

Claudia Katharina Lanter, Stipendiatin 2019

Die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz

Am Freitag, dem 23.08.2019, durften wir mit Herrn Prof. Stefan Roth, Ph.D. während eines entspannten Mittagessens bei Tafelspitz und Eierschwammerlgulasch über künstliche Intelligenz, besonders über autonomes Fahren, diskutieren. Stefan Roth ist Professor an der renommierten Technischen Universität Darmstadt und Dekan des Fachbereichs Informatik, zudem leitet er das Visual Inference Lab. Sein Forschungsinteresse liegt im Bereich der Computer Vision und des maschinellen Lernens. Besonders interessiert Prof. Roth dabei das semantische Szenen-Verständnis, Bewegungsberechnungen, als auch Deep Learning und probabilistische Modelle zur Personenerkennung und -Verfolgung. 

So vielfältig die Bereiche sind, welche die künstliche Intelligenz berührt, so vielfältig waren auch unsere Fragen an Prof. Roth. Einige unserer Fragen betrafen juristische Aspekte, so zum Beispiel, wie und ob man Forschungsergebnisse rechtlich schützen kann und wem wissenschaftliche Erkenntnisse gehören, aber auch konkretere Fragen, wer die Schuld bei einem Unfall mit einem autonom-fahrenden Auto trägt. Prof. Roth meinte, dass es unüblich sei, Forschungsergebnisse zu schützen, da eine Universität den Forschungsauftrag von der Bevölkerung habe, die dementsprechend auch davon profitieren und sie nutzen können müsse. Was die Schuldfrage bei einem Unfall mit einem autonom-fahrenden Fahrzeug betreffe, so trage diese derzeit der oder die Fahrerin. Wie man künftig mit verbesserter Technologie damit umgehen könne, werde sich noch erweisen. 

Wir erörterten weiters die Rolle Europas, besonders in Anbetracht der vielversprechenden Forschungsergebnisse und -anstrengungen Chinas und des Silicon Valley. Prof. Roth forderte von Europa sich hierbei forcierter zu engagieren und mehr zu investieren. Überraschend und erheiternd für uns war, als wir uns mit den technischen Aspekten des maschinellen Lernens beschäftigten, dass das Computerspiel GTA5 gespielt wird, um genügend Situationen und demnach Daten zum Training der Modelle sammeln zu können. Die Daten aus dem realen Strassen-Alltag würden bei weitem nicht ausreichen, um den Datenbedarf zu decken. Besondere Brisanz erhielt die Diskussion, als das Gespräch auf Hacker kam, die sich ich in die Systeme einschleusen und Fahrzeuge von Aussen lenken könnten. Nicht nur individuelle Hacker stellen hier eine Gefahr dar, sondern auch autoritäre Staaten. 

Die Geschwindigkeit mit der sich die Systeme entwickeln ist rasant, doch gibt es noch zahlreiche ethische, juristische und technische Fragen, die beantwortet werden müssen, bevor vollautonome Fahrzeuge auf europäischen Strassen anzutreffen sind. Prof. Roth sieht vollautonome Fahrzeuge in allerfrühestens zehn Jahren im alltäglichen Einsatz.  

Hiermit bedanken wir uns nochmals herzlich bei Herr Prof. Roth für das hochinteressante Mittagessen und die Beantwortung all unserer (Laien-)Fragen! 

Claudia Katharina Lanter, Stipendiatin 2019